Donnerstag, 22. November 2012

Der entstotterte König

Michael Bogdanov inszeniert am St. Pauli Theater "The King's Speech"

Hamburg. Seine Kindheit war eine Quälerei. Prinz Albert Frederick Arthur George wurde darüber zum Stotterer. Dass der kränkelnde Prinz und spätere Herzog trotzdem 1937 König der Briten wurde, das verdankt er im Speziellen einem Sprachlehrer, der den Hochwohlgeborenen schlicht und frech Bertie nannte. So jedenfalls erzählt es der mit vier Oscars gekrönte Film "The King's Speech". Dessen Drehbuch hatte David Seidler als Theaterstück geschrieben, und filmisch geht es durchaus zu auf der kleinen Bühne des St. Pauli Theaters, wo "The King's Speech" seine überaus gelungene deutsche Erstaufführung feierte.

Der größte Feind des stotternden Vaters der heutigen Queen war das Mikrophon. Mit der Erfindung des Radios drang das königliche Wort ins Wohnzimmer der Untertanen vor. Das Mikro starrte der Stotterkönig an wie das Kaninchen die Schlange; ihn packte die Panik, und er blamierte sich prächtig. 

Mit schnellen Schnitten erzählt Michael Bogdanov, einst Chef am Hamburger Schauspielhaus, die im Kern wahre Geschichte vom gehemmten Herzog, der König wird, und seinem diplomfreien Sprachtherapeuten. Es ist eine Geschichte über Freundschaft und über das Lösen psychischer Blockaden, alles vor der Folie der großen Weltgeschichte, die auch mal in Filmausschnitten hereinweht. Bogdanov und sein Ausstatter Sean Crowley wechseln mit Vorhängen, wenigen Requisiten und Musik schnell die Schauplätze - es wirbelt ein tolles Team im Dunkeln.

Den Kern der Geschichte legt Bogdanov schon in der ersten Szene frei. Da liegt der König frei und nackt in der Badewanne, wird dann von zwei Bediensteten angekleidet und stellt am Ende resigniert fest: "Ich sehe aus wie ein Weihnachtsbaum." Es ist eben nicht leicht, König zu sein.

Marcus Bluhm spielt den Mann, der an die Macht kommt, nachdem sein älterer Bruder König Edward VIII. (Stephan Benson) wegen der Liebe zur zweifach geschiedenen bürgerlichen Wallis Simpson (Anne Weber) abgedankt hat. Bluhm absolviert sprachlich eine artistische, in jedem Moment glaubwürdige Partie. Die Wutanfälle des Mannes, seine Ängstlichkeit, auch seinen unterschwelligen Humor sowie das Schwanken zwischen erwünschter Nähe des Menschen und gebotener Distanz des Monarchen setzt Bluhm ausgezeichnet um.

Trotzdem stiehlt ihm Boris Aljinovic ein wenig die Show. Denn Lionel Logue, der australische Sprachtherapeut, ist die dankbarere Rolle, zumal sie mit viel Witz, Chuzpe und Schlagfertigkeit angelegt ist. Die Augen blitzen, wenn Logue alias Aljinovic seinen königlichen Patienten mit unorthodoxen Methoden respektfrei aus der Fassung bringt. Tragikomisch ist auf der anderen Seite das Scheitern Lionels zu sehen, wenn er beim Vorsprechen für eine Karriere als Schauspieler scheitert.

Um die beiden Stars gruppiert sich ein solides Team. Dessen Rollen zeichnet Bogdanov bisweilen als Karikatur (Josef Tratnik als Churchill) oder Intriganten (Joachim Lang als Erzbischof). Manche Rolle bleibt aber eher blass. Macht nichts, das Publikum quittiert den Abend, an dem die Royals auf sehr vergnügliche Weise menscheln, mit vielen Bravos.

H.-M. Koch
Lüneburger Landeszeitung, 22.11.2012